Donnerstag, 29. August 2019

Ein ganzes halbes Jahr - Jojo Moyes



Eines meiner Lieblingsbücher und deshalb hier ein Post dazu, obwohl es schon eine Weile her ist, dass das Buch veröffentlicht worden ist.

Ich finde, dass es über einen üblichen Liebesroman hinausgeht und viele Probleme realistisch aufzeigt, die man durchaus nachvollziehen kann. Dadurch, dass die Autorin die Gedanken der Handelnden so kleinschrittig beschreibt, hat man – finde ich – das Gefühl, direkt am Entscheidungs- und Findungsprozess teilzunehmen. Ich glaube das macht diese Sogwirkung des Buches aus und führt dazu, dass man es einfach nicht weglegen kann.



Zu Will:

Dass ein Unfall das Leben und vor allem den Lebensstil von heute auf morgen verändern kann, bringt dieses Buch sehr drastisch auf den Punkt. Natürlich führt kaum jemand so ein aufregendes, perfektes und abenteuerreiches Leben, wie Will es vorher geführt zu haben scheint. Aber das soll wohl im Buch den Unterschied zu früher und heute noch mehr hervorheben.

Ich finde es total nachvollziehbar, dass Will so launisch ist. Er war vorher erfolgreich und völlig unabhängig. Nach dem Unfall, den er noch nicht einmal zu verschulden hatte (das ist wohl auch noch mal ganz erheblich), ist er plötzlich wieder abhängig und dann auch noch von seiner Mutter, die eine ganz andere Vorstellung von einer guten Lebensführung hat. Dazu kommen auch noch die täglichen Schmerzen die er hat, obwohl er seinen Körper ansonsten gar nicht mehr nutzen kann. Das ist wohl ziemlich unerträglich.

So nachvollziehbar ich das in dem Buch wirklich alles fand (die Launen, seinen Wunsch, so ein Leben nicht führen zu wollen…) desto drastischer fand ich auch die Formulierung, dass ihm Louisa nicht ausreicht. Aber betrachtet man diese Aussage in dem Kontext, dass er auch sagt, dass sein Leben nie wieder so gut sein wird, wie jetzt gerade zu diesem Zeitpunkt, finde ich, dass er sehr rational handelt. Er hatte erst gerade wieder eine schwere Lungenentzündung. Er sieht, wie seine Angehörigen jedes Mal, wenn er ins Krankenhaus muss, wieder leiden und sich um ihn sorgen. Er weiß, dass er körperlich immer mehr abbauen wird und dass noch weitere, schlimmere Krankheiten mit seinem Zustand einhergehen. So banal das auch auf den ersten Blick klingen mag, denkt er sich wohl, dass er „aussteigen“ muss, als es am schönsten ist. Obwohl ich der sicheren Ansicht bin, dass er und Louisa ein schönes Leben zusammen gehabt hätten. Bestimmt mit vielen Sorgen und für ihn auch Schmerzen, aber dennoch lebenswert. Aber das ist meine Ansicht. Das ist aus Wills Sicht vielleicht etwas anders, wenn man eben betrachtet, in welch anderem Extrem er zuvor gelebt hat.


Ich finde nicht, dass Will sich so richtig auf Lou eingelassen hat. Er war doch tatsächlich immer sehr distanziert. Zum Schluss hat er sie, glaube ich, dann aber doch wirklich gebraucht, weil es sicherlich, auch wenn er es für sich klar entschieden hat, kein einfacher Schritt ist, sein Leben zu beenden. Da hat er wahrscheinlich jemanden gebraucht, der ihn versteht. Seine Eltern und seine Schwester haben da ja definitiv immer nicht so richtig verstanden, wie er sich verhält. Louisa wollte es zwar auch nicht, konnte sich aber besser in ihn hineinversetzen. Auf den ersten Blick fand ich es egoistisch, dass er sie da so einbezieht, aber anders hätte ihm vielleicht die nötige Kraft gefehlt.



Zu Katrina:

Auch an Katrina wird so deutlich – wie bei Will und seinem Unfall – wie bestimmte Ereignisse, das Leben lenken. Ich hatte den Eindruck, dass Katrina das auch noch einmal zum Ausdruck bringen sollte. Hätte sie Tom nicht bekommen, hätte sie ein ganz anderes Leben geführt. Sie hätte ihr Studium beendet und wäre eventuell (viel früher) beruflich sehr erfolgreich geworden. Vielleicht soll das noch einmal unterstreichen, dass man sein Leben planen und strukturieren kann, es dann aber manchmal doch ganz anders kommen kann (nicht zwingend, aber es ist wohl immer möglich).



Wenn man sich vor Augen führt, was das Buch einem „sagen“ will, dann ist es wohl ganz eindeutig, dass man sein Leben jeden Tag – wie es auch gerade ist – genießen sollte und dankbar sein sollte, dass man es hat. Vielleicht sogar auch, dass man jeden Tag versuchen sollte, das Beste daraus zu machen… Oder? Was meinen Sie?



Ich finde, dass Katrinas Art, sich immer wieder in das Leben von Louisa einzumischen und sie zu verbessern und zu kritisieren, sehr anstrengend ist. Das ist einfach keine schöne Eigenschaft, wenn man jemanden kritisiert, um sich besser zu fühlen. So kommt es mir vor. Katrina ist mit ihrem Leben unzufrieden, weil sie unter anderen Umständen wohl mehr erreicht hätte und gängelt deshalb Louisa. Dabei beachtet sie auch gar nicht, dass sie die Dinge, die sie kritisiert, teilweise genauso macht.



Meines Erachtens gibt es aber zwei Arten der Kritik: Einmal die Kritik, die dazu da ist, damit sich jemand anderes schlecht fühlt oder damit sich der andere so ändert, dass es einem besser in den Kram passt.

Und dann noch die „gut gemeinte, uneigennützige“ Kritik, die Motivation und Antrieb für das Gegenüber sein soll, die Komfortzone zu verlassen und etwas Neues/Anderes zu probieren. Also Veränderungsmotivation für den anderen und nicht für einen selbst. 
Meinen Sie nicht auch, dass es da diesen Unterschied gibt? Ich glaube Katrinas Kritik ist dieser Art, dass sie eben selbst unzufrieden ist und so ihren Frust an Louisa ablädt… Auch, weil Louisa so ungebunden ist und sie theoretisch die Möglichkeiten hätte, das Leben zu führen, da Katrina ohne Tom hätte führen können und dennoch nicht macht. Da spielt vielleicht auch Neid eine Rolle. Katrina ist eventuell neidisch darauf, dass Louisa ungebunden ist und ihr jede Möglichkeit offensteht.

Ansonsten finde ich Katrinas Charakter sehr gut. Sie ist zielstrebig, erfolgreich (soweit das mit Tom geht) und fleißig.

Alles andere ist wohl von Jojo Moyes einfach sehr realistisch dargestellt: Sie ist übermüdet, weil sie eine junge, alleinerziehende Mutter mit einem kleinen Kind ist, die noch bei den Eltern in einem Zimmer wohnt… Wie soll sie da anders sein?

Ich finde Katrina überhaupt nicht undurchsichtig. Sie ist – meines Erachtens – geprägt von Unzufriedenheit und Überforderung…



Zu Louisa:

Louisa Clark ist wohl eine Figur, die sehr wenig rational abwägt, sondern eher nach Gefühl handelt.

Ich habe – bevor ich „Ein ganzes halbes Jahr“ gelesen habe – das Buch „Das Leben ist zu kurz für später“ gelesen. Da hat die Autorin so perfekt sinngemäß Folgendes formuliert, was ich für den Charakter „Louisa“ sehr passend finde:



„Trägt jemand sein Herz offen vor sich, dann kann es viel leichter von der Sonne erwärmt werden. Jedoch ist es natürlich so auch viel weniger geschützt vor starkem Sturm, der aufziehen kann.“

Louisa ist sehr leicht begeisterungsfähig. Das mag ich sehr. Sie brennt sehr schnell für die Idee, einen „Abenteuer-Ausflugs-Plan“ für Will zu erstellen, um ihn umzustimmen. Sie macht alles dafür, dass es gelingt (trägt also ihr Herz ungeschützt offen vor sich), jedoch ist sie vor der endgültigen Entscheidung von Will dann überhaupt nicht gewappnet. Und dazu kommt dann auch noch, dass er seine Entscheidung so drastisch formuliert: „Du reichst mir nicht!“

Daran musste ich ziemlich oft denken. Das passt doch wirklich, oder? Was meinen Sie?

Trotzdem bin ich auch nach diesem Ende nicht zu dem Entschluss gekommen, dass Louisas Einstellung zum Leben falsch ist. Ganz im Gegenteil: Dann sollen doch Stürme kommen… dafür wird das Herz ja auch von der Sonne gewärmt…

Besonders gut finde ich es auch, dass Louisa so besonders ist. Sie zieht sich außergewöhnlich an und unabhängig vom materiellen Wert haben bestimmte Dinge für sie einen ideellen Wert (Hummel-Strumpfhose). Das macht sie, glaube ich, so besonders sympathisch. 

Zu Nathan:

Nathan finde ich im ersten Teil tatsächlich gar nicht so wichtig. Er ist wohl nur die medizinische Fachkompetenz. Ohne ihn wäre wohl die Pflege für Will unrealistisch erschienen. Und klar: Auch Stütze für Louisa, vor allem auch, damit sie ihre Pläne mit Will in die Tat umsetzen kann.

Und natürlich hat er auch die Funktion zu unterstreichen, dass Louisa nicht immer vernünftig handelt (zum Beispiel bei der Hochzeit, als sie den Urin-Beutel nicht einmal entleert und gesäubert hat).

è Nathan = Vernunft und Fachkompetenz vs. Louisa = Emotion und Lebensfreude

è Eigentlich die perfekte Kombination für den kranken Will...

Zu Josephine und Bernard:

Die beiden verkörpern meines Erachtens das alte Bild der traditionellen Rollenverteilung. Ich sehe tatsächlich in allen Figuren des Buches ganz klar eine Funktion, um Louisas Eigenschaften zu verdeutlichen. Die beiden sind ganz klar dazu da, um zu verdeutlichen wie begrenzt Louisas altes Leben war, bevor sie Will kennengelernt hat. Ein kleiner Ort, in dem sie lebt. Ihre Mama, die nur dazu da ist, für die Kinder zu sorgen, den kranken Opa zu pflegen und für ihren arbeitenden Mann da zu sein. Auch schon ein klarer Kontrast zu dem Plan, den Katrina von ihrem Leben hatte/hat.

Deshalb fand ich es auch nicht unerwartet, wie Josephine darauf reagiert hat, dass Louisa Will doch bei dignitas begleiten wollte. Sie steht für Tradition und das alte Rollenbild. Da passt ein frei gewählter Tod bzw. Sterbehilfe/Selbstmord nicht ins Bild. Sie hätte gar nicht anders reagieren dürfen. Das hätte nicht gepasst. Auch wenn ihre Beziehung zu Louisa gut ist.

Was mich an Josephine gestört hat bzw. stört, ist diese uneingeschränkte Liebe zu Katrina, die sie für Louisa nicht immer aufbringt. Sie hebt Katrina und Tom die ganze Zeit hervor und findet alles so toll, was sie macht. Katrina ist ihr Lieblingskind. Das finde ich Louisa gegenüber nicht gerecht.

Zu Patrick:

Patrick ist furchtbar. Sehr egoistisch und nur darauf bedacht, seine Ziele zu erreichen. Er hat gar keine Empathie und beachtet gar nicht, was Louisa Spaß macht… Aber wäre er schon der perfekte Mann für Louisa gewesen, hätte der Roman Will nicht gebraucht. Also hatte er wohl auch seine Berechtigung. J

Alles in allem ein wirklich mitreißender sowohl herzerwärmender als auch herzzerreißender Roman, den ich uneingeschränkt und immer wieder weiterempfehlen kann.














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