Auris
– von Vincent Kliesch
Der Roman ist super. Ich
empfehle Ihnen, diesen Thriller zu lesen!!!
Ohne hier etwas vorwegzunehmen,
kann ich Ihnen schon mitteilen, dass die beiden Hauptpersonen (Professor Hegel
und Jula) gut dargestellt sind und man den Gedankengängen der Charaktere überwiegend
gut folgen kann. Ich hatte jedoch insbesondere einmal das Gefühl, dass ich
Julas Entscheidungen nicht logisch bzw. nicht nachvollziehbar fand (dazu später
mehr).
Etwas anstrengend (da
ungewohnt) fand ich es, den Namen „Jula“ zu lesen, weil mein Gehirn da immer
noch ein „i“ reinzaubern wollte, aber das ist nicht weiter beachtlich.
Wenn Sie den Roman lesen,
können Sie sich auf viel Spannung, Nervenkitzel, tolle Hauptfiguren und einen
angenehm leichten Sprachstil freuen. Der Roman macht zudem sicher Lust auf
einen zweiten Teil. (Der nächste Teil der Reihe erscheint wohl 2020 unter dem Titel "Aurelia".)
Ich bin der Ansicht, dass man
hier und da so ein bisschen Fitzek im Ohr hat. Die Sprache und auch der Aufbau
des Thrillers, sind schon sehr im Fitzek-Stil, meine ich. Ich bin gespannt, was
Sie dazu sagen…
Ein bisschen schade finde ich,
dass die Idee, die Hauptfigur einen forensischen Phonetiker sein zu lassen, gar
nicht so sehr im Mittelpunkt steht. Ich hatte mich da ehrlich gesagt auf viele
neue Erkenntnisse zur forensischen Phonetik gefreut. Wenn Sie das auch
erwarten, dann wird diese Erwartung leider nicht erfüllt. Die forensische
Phonetik spielt selbstverständlich eine wichtige Rolle im Roman, aber Erkenntnisse
konnte ich für mich keine gewinnen.
Insgesamt kein sprachliches
Hochreck und inhaltlich an einigen Stellen holperig. Kann man darüber
hinwegsehen, ist das Buch spannend und rasant.
Einiges
mehr zum Inhalt folgt jetzt, aber
ACHUNG!!!:
Spoiler-Warnung!!!
(also den nachfolgenden Text erst lesen, wenn Sie den Roman selbst gelesen haben).
(also den nachfolgenden Text erst lesen, wenn Sie den Roman selbst gelesen haben).
Zum Anfang:
Der
Roman beginnt rasant mit einem Fall und einem Einsatz von Prof. Hegel. So ist
es direkt spannend und man lernt die Figur Hegel und seine Arbeitsweise unmittelbar
kennen, ohne dass es sich dabei um langatmige Beschreibungen handelt. Gefällt
mir sehr gut.
Ein
bisschen merkwürdig fand ich, dass Hegel an der Sprache erkannt hat, dass es
sich um eine rechtsseitige Lähmung bei dem Täter handelte. Wie konnte er
das denn hören? Hätte es nicht auch eine linksseitige Lähmung sein können?
Ein
bisschen schade finde ich einfach – wie anfangs erwähnt – dass über die
forensische Phonetik an sich nicht viel geschrieben wird. Ich hätte spannend
verpackte Hintergrundinformationen dazu total interessant gefunden und so
hätten Hegels Ermittlungsergebnisse für den Leser einen bedeutsamen Mehrwert
gehabt. Der Leser hätte so auch selber nachvollziehen können, wie Hegel darauf
schließen konnte, dass es sich um eine durch einen Schlaganfall bedingte rechtsseitige
Lähmung handelte.
Dennoch
ein gelungener Auftakt, finde ich.
Zu Jula und ihrer Vorgeschichte:
Die
Idee, dass Jula als Journalistin eine junge Podcasterin ist, die zudem bei einem
Radiosender arbeitet, finde ich gut. Habe ich so noch nirgendwo gelesen. Dieses
Berufsbild dürfte wohl ziemlich aktuell/modern sein. Kann sie davon am Ende
leben?
Ihre
Beziehung zu Moritz und ihre weitere Familienkonstellation werden detailliert
und nachvollziehbar geschildert. Ich konnte gut verstehen, dass sie von dem
Familienstress eine Auszeit brauchte und die Gelegenheit nutzen wollte, mit
Moritz zu verreisen, der zu einer Geschäftsreise aufbrechen wollte.
Bis
zum Schluss ist das Mysterium nicht gelüftet worden, warum Moritz zu der
Falschaussage gedrängt wurde und wer der tatsächliche Vergewaltiger war. Ich
hoffe dabei handelt es sich um einen Cliffhanger, der in einem Folgeroman
aufgegriffen und -gelöst wird.
Ihre
eigene Vorgeschichte ist wohl ihre Motivation dafür True-Crime-Podcasts
aufzunehmen. Sie will als Journalistin Verbrechen aufklären und insbesondere
Fehlurteile aufdecken – wie in ihrem eigenen Fall mit Moritz.
Jula
wirkt sympathisch, ehrgeizig und mutig. Eine gelungene Protagonistin.
Ist
es denn wirklich so lebensnah, dass Jula in der Entführungssituation
Sprachnotizen für ihren Podcast aufnimmt? Sie weiß nicht sicher wo sie ist, wer
sie entführt hat und ob noch jemand im Haus ist. Verhält man sich da nicht
ruhig und ängstlich? Diese Szene fand ich nicht realistisch.
Zu Patrick:
Die
Trennung von Patrick fand ich nicht nachvollziehbar. Wer trennt sich denn von
seinem Partner, nur weil dieser heimlich Nachrichten im Handy liest? Klar, es
kann ein Streitpunkt sein, aber ein Trennungsgrund? Das fand ich etwas
merkwürdig. Und auch, dass sie das geplant hat und ihm dann einen Brief
geschrieben hat, den sie unter der Fußmatte versteckt hatte. Fand ich völlig
lebensfremd. Ich kenne niemanden, der so handeln würde. Aber hat der Geschichte
jetzt auch keinen Abbruch getan, fand ich.
Bis
zum Schluss hat mir mein Bauchgefühl gesagt, dass Patrick etwas mit alldem zu
tun hatte. Er war bei Jula als sie den Rucksack vor ihrer Tür fand und er hat
sie im Ferienhaus befreit. Er hatte aufgrund der Trennung sogar ein Motiv
(Rache). So ein Zufall, dachte ich. Aber das sollte wohl die Leser in die Irre
führen, denke ich. Er war es ja nicht…
Zu Hadrian:
Bei
Hadrian habe ich den Eindruck, dass er als eine Art „Joker“ logische Lücken
schließen musste. Er hatte doch eigentlich nur die Funktion, dass Jula an
Informationen kommt, an die sie ansonsten wohl nicht so ohne Weiteres gekommen
wäre. Und er ist nur ein Fan? Der alles aus reiner Nächstenliebe tut? War jetzt
auch nicht so von Bedeutung, deshalb auch ok. Aber am Ende habe ich doch schon
erwartet, dass sich die Randgeschichte um Hadrian auflöst… Sie nicht?
Etwas
abwegig fand ich auch, dass Hadrian seinen Zugang zum Radiosender wirklich nur
als Scherz missbraucht hat, um Julas Podacastserien zu senden. Wer macht denn
so etwas? Die Story um Hadrian fand ich deshalb zusammenfassend wenig
gehaltvoll.
Zu Elyas:
Elyas
ist ein (klein)krimineller Teenager, der sich von seinen nun getrennten Eltern
nicht gewollt und geliebt fühlt. Julas Fürsorge um ihn begründet er für sich
damit, dass sie ihren „echten“ Bruder Moritz verloren hat und er für sie nur
ein Ersatz darstellt. Auch von seinem Freund Friedrich fühlt er sich als Mittel
zum Zweck ausgenutzt, damit dieser mit einem „coolen Kid“ abhängen kann. Er hat
den Eindruck, dass es da nicht um ihn als Person geht.
Dieses
Beziehungsgeflecht um Elyas ist vielschichtig und gefühlsecht. Ein Teenager in
einer Findungsphase, der noch auslotet wer er ist und mit wem er sich warum
umgibt. Sehr gut! Die Person ist meines Erachtens am detailliertesten und
echtesten dargestellt.
Dass
er rechtliche Grenzen überschreitet hatte wohl einfach den Zweck, dass Jula
aufgrund seiner Vorstrafen zu der Überzeugung gelangt, dass die Polizei ihr bei
der Suche ihres kriminellen Bruders nicht helfen wird.
Bis
zum Schluss bleibt Elyas auch in der Situation in Gefangenschaft tapfer,
versucht logisch zu denken und behält seinen Überlebenswillen.
Gut,
dass er überlebt und der Roman diesbezüglich ein happy end hat. Alles andere
wäre für den Leser sehr enttäuschend gewesen, meine ich, da die Suche doch eine
der beiden Haupthandlungen war.
Zu Margrit:
Sie
hat Jula mit dem ersten und ihrem einzigen Anruf gedroht. Von Anfang an war ich
mir sicher, dass der erste Anrufer und die weiteren nicht identisch waren. Da
auch Hegel bei dem ersten Anrufer feststellte, dass dieser emotional betroffen
ist und sehr schnell atmet.
Ab
dem zweiten Anruf war dann alles anders. Der Anrufer benutze keinen
Stimmenverzerrer mehr und atmete ruhig und gelassen.
Aber
warum hat Margrit nur einmal angerufen? Und woher wusste sie, dass Jula in
Hegels Fall ermittelt?
Dennoch
hat mir gefallen, dass es sich dann auch wirklich um zwei verschiedene Personen
handelte. Ansonsten wäre die Beschreibung des ersten Anrufs (emotional und mit
Stimmverzerrer) völlig sinnlos gewesen.
Margrit
scheint nur eine Nebenrolle zu spielen und ist dann am Ende für die Auflösung
von essentieller Bedeutung. Sie glaubt und traut Hegel nicht und ist sich
sicher, dass er ihre Tochter getötet hat.
Margrit
weiß von ihrer Tochter, dass Hegel illegale Geschäfte gemacht hat. Sie wirft
ihm vor, dass er Informationen über Zeugen aus Schutzprogrammen an eine Organisation
verkauft hat, die ihre Tochter als verdeckte Ermittlerin hochnehmen sollte.
Hegel habe ihrer Tochter gedroht. Sie habe Angst vor ihm gehabt.
Hier
bedauere ich sehr, dass man über Mathildas Mutter nur so wenig erfährt. Wer war
sie? Wie lange waren sie und Hegel ein Paar? Haben sie sich getrennt? Warum
genau hatte sie Angst vor Hegel? Warum hat sie das ihrem Vorgesetzten nicht
gemeldet?
Hier
entstehen so viele Fragen. Hoffentlich werden diese Fragen in einem Folgeroman
ebenfalls noch thematisiert.
Zu Kalinsky und dem Ende:
Also
die Geschichte um Kalinsky fand ich total gut. Er ist das Werkzeug, das hinter
allem steckt und gar nicht merkt, dass er zum Werkzeug gemacht worden ist?
Das
doppelte Ende kam für mich völlig unvorhersehbar und war deshalb umso
brillanter. Hegel konnte nicht einfach einem rachsüchtigen Ehmann zum Opfer
gefallen sein! Dafür ist Hegel doch viel zu raffiniert.
Dass
Hegel dann Kalinsky zum Werkzeug gemacht hat, passte dann aber wieder.
Kalinsky
war Hegels bester Freund und Ehemann einer von Hegels Patientinnen.
Die
Patientin – Jessica Schrödinger – hielt Hegel aufgrund einer Fehldiagnose für
nicht suizidgefährdet und verschrieb ihr Antidepressiva, die ihr so viel
Antrieb gaben, dass sie letztendlich ihre Suizidabsichten in die Tat umsetzen
konnte.
Mir
gefällt, dass bis zum Ende nicht vollständig aufgelöst wird, wie Hegel alles
aus dem Gefängnis heraus geplant hat.
Herr
Dr. Varbelow wirkt wie ein sehr gesetzestreuer, wohlbesonnener Rechtsanwalt,
der wohl nicht seine Finger mit im Spiel hatte.
Aber
was ist mit dem depressiven Vollzugsbediensteten? Hat er Hegel wohl auch einige
illegale Annehmlichkeiten verschaffen können, z.B. ein Handy übergeben oder ihn
telefonieren lassen. Völlig unpassend finde ich hier die Formulierung „Wärter“,
die gar nicht mehr zeitgemäß und korrekt ist. Da hätte sich der Autor besser
informieren müssen!
Kalinsky
war wohl kaum schlau genug, die Drohanrufe zu tätigen. Hat Hegel Jula angerufen
und ihr selbst gedroht? Konnte er so gut vorhersehen, wie sie sich verhalten
wird, obwohl ihm Jula fremd war?
Hegel
war die ganze Zeit über auf dem Laufenden, was Julas „Ermittlungsergebnisse“
betraf und er konnte lenkend einschreiten (Denon-Box in Kalinskys Badezimmer
zur Vorbereitung Julas Entführung etc.).
Er
hat die Anrufe absichtlich fehlgedeutet und Jula falsche Informationen
(Oberhavel, gebildet etc.) gegeben.
Kalinsky
hat für Hegel Elyas entführt und Jula in das Ferienhaus verschleppt.
Die
vorgetäuschte versuchte Entführung Mathildas war eine Falle für Kalinsky, damit
Heiko, der Bodyguard für Mathilda, den Hegel engagiert hatte, eine
Rechtfertigung dafür hatte, Kalinsky zu ermorden.
Kalinsky
hat Hegel wohl gar nicht gehasst für die Fehldiagnose. Das war Teil Hegels
Plans, das so darzustellen, dass er den Hass seines Freundes nicht bemerkt hat,
der sich an ihm rächen wollte.
Da
hätte ich mir auch einige klarstellende Worte gewünscht. Wie war Kalinskys
Verhältnis zu Hegel? Hat er ihm die Fehldiagnose verziehen? War er aufgrund des
Todes seiner Frau am Ende und zu allem bereit? Warum sollte er Hegel helfen,
der doch den Tod seiner Frau verschuldet hatte?
Sonstiges:
Ich
weiß nicht, wie Besuche in der JVA Moabit geregelt sind, aber mir kommt schon
etwas unrealistisch vor, dass der Anwalt ständig – nach nur einem Anruf – mit
Hegel Besuchstermine vereinbaren kann.
Völlig
unrealistisch kommt mir Julas Besuch Hegels auf der Krankenabteilung vor. Da
wäre wohl ein Telefonat wahrscheinlicher gewesen als dass eine Externe einen
Gefangenen im Krankenrevier besucht.
Hegels
Geschenk an Jula, die Telefonnummer ihres Bruders, passt wiederum nicht ins
Bild. Warum macht er so etwas Unüberlegtes? Sein Blut und seine Fingerabdrücke
sind auf dem Papier und so lässt sich nachvollziehen, dass er geschützte
Informationen weitergegeben hat. Ein schöner Cliffhanger (was ist mit Moritz
passiert, wo ist er etc.?) aber wirklich ein so perfektes Ende? Klar, so kann
Hegel doch noch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Aber für den
Mord an Mathildas Mama kann er nicht mehr verurteilt werden (Beweislage).
Vielschichtige
Romane bzw. Thriller birgen wohl die Gefahr, dass am Ende Fragen ungeklärt
bleiben und nicht alles zu 100% stimmig ist.
Das
doppelte Ende gefällt mir. Jedoch ist mir bis zum Schluss insbesondere Kalinskys
Handlungsmotivation nicht klar. Ihnen? Warum hat Kalinsky Hegel bei alldem
geholfen?
Wenn
Sie den Roman gelesen haben, bin ich gespannt auf Ihre Eindrücke.
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