Donnerstag, 29. August 2019

Ein ganzes halbes Jahr - Jojo Moyes



Eines meiner Lieblingsbücher und deshalb hier ein Post dazu, obwohl es schon eine Weile her ist, dass das Buch veröffentlicht worden ist.

Ich finde, dass es über einen üblichen Liebesroman hinausgeht und viele Probleme realistisch aufzeigt, die man durchaus nachvollziehen kann. Dadurch, dass die Autorin die Gedanken der Handelnden so kleinschrittig beschreibt, hat man – finde ich – das Gefühl, direkt am Entscheidungs- und Findungsprozess teilzunehmen. Ich glaube das macht diese Sogwirkung des Buches aus und führt dazu, dass man es einfach nicht weglegen kann.



Zu Will:

Dass ein Unfall das Leben und vor allem den Lebensstil von heute auf morgen verändern kann, bringt dieses Buch sehr drastisch auf den Punkt. Natürlich führt kaum jemand so ein aufregendes, perfektes und abenteuerreiches Leben, wie Will es vorher geführt zu haben scheint. Aber das soll wohl im Buch den Unterschied zu früher und heute noch mehr hervorheben.

Ich finde es total nachvollziehbar, dass Will so launisch ist. Er war vorher erfolgreich und völlig unabhängig. Nach dem Unfall, den er noch nicht einmal zu verschulden hatte (das ist wohl auch noch mal ganz erheblich), ist er plötzlich wieder abhängig und dann auch noch von seiner Mutter, die eine ganz andere Vorstellung von einer guten Lebensführung hat. Dazu kommen auch noch die täglichen Schmerzen die er hat, obwohl er seinen Körper ansonsten gar nicht mehr nutzen kann. Das ist wohl ziemlich unerträglich.

So nachvollziehbar ich das in dem Buch wirklich alles fand (die Launen, seinen Wunsch, so ein Leben nicht führen zu wollen…) desto drastischer fand ich auch die Formulierung, dass ihm Louisa nicht ausreicht. Aber betrachtet man diese Aussage in dem Kontext, dass er auch sagt, dass sein Leben nie wieder so gut sein wird, wie jetzt gerade zu diesem Zeitpunkt, finde ich, dass er sehr rational handelt. Er hatte erst gerade wieder eine schwere Lungenentzündung. Er sieht, wie seine Angehörigen jedes Mal, wenn er ins Krankenhaus muss, wieder leiden und sich um ihn sorgen. Er weiß, dass er körperlich immer mehr abbauen wird und dass noch weitere, schlimmere Krankheiten mit seinem Zustand einhergehen. So banal das auch auf den ersten Blick klingen mag, denkt er sich wohl, dass er „aussteigen“ muss, als es am schönsten ist. Obwohl ich der sicheren Ansicht bin, dass er und Louisa ein schönes Leben zusammen gehabt hätten. Bestimmt mit vielen Sorgen und für ihn auch Schmerzen, aber dennoch lebenswert. Aber das ist meine Ansicht. Das ist aus Wills Sicht vielleicht etwas anders, wenn man eben betrachtet, in welch anderem Extrem er zuvor gelebt hat.


Ich finde nicht, dass Will sich so richtig auf Lou eingelassen hat. Er war doch tatsächlich immer sehr distanziert. Zum Schluss hat er sie, glaube ich, dann aber doch wirklich gebraucht, weil es sicherlich, auch wenn er es für sich klar entschieden hat, kein einfacher Schritt ist, sein Leben zu beenden. Da hat er wahrscheinlich jemanden gebraucht, der ihn versteht. Seine Eltern und seine Schwester haben da ja definitiv immer nicht so richtig verstanden, wie er sich verhält. Louisa wollte es zwar auch nicht, konnte sich aber besser in ihn hineinversetzen. Auf den ersten Blick fand ich es egoistisch, dass er sie da so einbezieht, aber anders hätte ihm vielleicht die nötige Kraft gefehlt.



Zu Katrina:

Auch an Katrina wird so deutlich – wie bei Will und seinem Unfall – wie bestimmte Ereignisse, das Leben lenken. Ich hatte den Eindruck, dass Katrina das auch noch einmal zum Ausdruck bringen sollte. Hätte sie Tom nicht bekommen, hätte sie ein ganz anderes Leben geführt. Sie hätte ihr Studium beendet und wäre eventuell (viel früher) beruflich sehr erfolgreich geworden. Vielleicht soll das noch einmal unterstreichen, dass man sein Leben planen und strukturieren kann, es dann aber manchmal doch ganz anders kommen kann (nicht zwingend, aber es ist wohl immer möglich).



Wenn man sich vor Augen führt, was das Buch einem „sagen“ will, dann ist es wohl ganz eindeutig, dass man sein Leben jeden Tag – wie es auch gerade ist – genießen sollte und dankbar sein sollte, dass man es hat. Vielleicht sogar auch, dass man jeden Tag versuchen sollte, das Beste daraus zu machen… Oder? Was meinen Sie?



Ich finde, dass Katrinas Art, sich immer wieder in das Leben von Louisa einzumischen und sie zu verbessern und zu kritisieren, sehr anstrengend ist. Das ist einfach keine schöne Eigenschaft, wenn man jemanden kritisiert, um sich besser zu fühlen. So kommt es mir vor. Katrina ist mit ihrem Leben unzufrieden, weil sie unter anderen Umständen wohl mehr erreicht hätte und gängelt deshalb Louisa. Dabei beachtet sie auch gar nicht, dass sie die Dinge, die sie kritisiert, teilweise genauso macht.



Meines Erachtens gibt es aber zwei Arten der Kritik: Einmal die Kritik, die dazu da ist, damit sich jemand anderes schlecht fühlt oder damit sich der andere so ändert, dass es einem besser in den Kram passt.

Und dann noch die „gut gemeinte, uneigennützige“ Kritik, die Motivation und Antrieb für das Gegenüber sein soll, die Komfortzone zu verlassen und etwas Neues/Anderes zu probieren. Also Veränderungsmotivation für den anderen und nicht für einen selbst. 
Meinen Sie nicht auch, dass es da diesen Unterschied gibt? Ich glaube Katrinas Kritik ist dieser Art, dass sie eben selbst unzufrieden ist und so ihren Frust an Louisa ablädt… Auch, weil Louisa so ungebunden ist und sie theoretisch die Möglichkeiten hätte, das Leben zu führen, da Katrina ohne Tom hätte führen können und dennoch nicht macht. Da spielt vielleicht auch Neid eine Rolle. Katrina ist eventuell neidisch darauf, dass Louisa ungebunden ist und ihr jede Möglichkeit offensteht.

Ansonsten finde ich Katrinas Charakter sehr gut. Sie ist zielstrebig, erfolgreich (soweit das mit Tom geht) und fleißig.

Alles andere ist wohl von Jojo Moyes einfach sehr realistisch dargestellt: Sie ist übermüdet, weil sie eine junge, alleinerziehende Mutter mit einem kleinen Kind ist, die noch bei den Eltern in einem Zimmer wohnt… Wie soll sie da anders sein?

Ich finde Katrina überhaupt nicht undurchsichtig. Sie ist – meines Erachtens – geprägt von Unzufriedenheit und Überforderung…



Zu Louisa:

Louisa Clark ist wohl eine Figur, die sehr wenig rational abwägt, sondern eher nach Gefühl handelt.

Ich habe – bevor ich „Ein ganzes halbes Jahr“ gelesen habe – das Buch „Das Leben ist zu kurz für später“ gelesen. Da hat die Autorin so perfekt sinngemäß Folgendes formuliert, was ich für den Charakter „Louisa“ sehr passend finde:



„Trägt jemand sein Herz offen vor sich, dann kann es viel leichter von der Sonne erwärmt werden. Jedoch ist es natürlich so auch viel weniger geschützt vor starkem Sturm, der aufziehen kann.“

Louisa ist sehr leicht begeisterungsfähig. Das mag ich sehr. Sie brennt sehr schnell für die Idee, einen „Abenteuer-Ausflugs-Plan“ für Will zu erstellen, um ihn umzustimmen. Sie macht alles dafür, dass es gelingt (trägt also ihr Herz ungeschützt offen vor sich), jedoch ist sie vor der endgültigen Entscheidung von Will dann überhaupt nicht gewappnet. Und dazu kommt dann auch noch, dass er seine Entscheidung so drastisch formuliert: „Du reichst mir nicht!“

Daran musste ich ziemlich oft denken. Das passt doch wirklich, oder? Was meinen Sie?

Trotzdem bin ich auch nach diesem Ende nicht zu dem Entschluss gekommen, dass Louisas Einstellung zum Leben falsch ist. Ganz im Gegenteil: Dann sollen doch Stürme kommen… dafür wird das Herz ja auch von der Sonne gewärmt…

Besonders gut finde ich es auch, dass Louisa so besonders ist. Sie zieht sich außergewöhnlich an und unabhängig vom materiellen Wert haben bestimmte Dinge für sie einen ideellen Wert (Hummel-Strumpfhose). Das macht sie, glaube ich, so besonders sympathisch. 

Zu Nathan:

Nathan finde ich im ersten Teil tatsächlich gar nicht so wichtig. Er ist wohl nur die medizinische Fachkompetenz. Ohne ihn wäre wohl die Pflege für Will unrealistisch erschienen. Und klar: Auch Stütze für Louisa, vor allem auch, damit sie ihre Pläne mit Will in die Tat umsetzen kann.

Und natürlich hat er auch die Funktion zu unterstreichen, dass Louisa nicht immer vernünftig handelt (zum Beispiel bei der Hochzeit, als sie den Urin-Beutel nicht einmal entleert und gesäubert hat).

è Nathan = Vernunft und Fachkompetenz vs. Louisa = Emotion und Lebensfreude

è Eigentlich die perfekte Kombination für den kranken Will...

Zu Josephine und Bernard:

Die beiden verkörpern meines Erachtens das alte Bild der traditionellen Rollenverteilung. Ich sehe tatsächlich in allen Figuren des Buches ganz klar eine Funktion, um Louisas Eigenschaften zu verdeutlichen. Die beiden sind ganz klar dazu da, um zu verdeutlichen wie begrenzt Louisas altes Leben war, bevor sie Will kennengelernt hat. Ein kleiner Ort, in dem sie lebt. Ihre Mama, die nur dazu da ist, für die Kinder zu sorgen, den kranken Opa zu pflegen und für ihren arbeitenden Mann da zu sein. Auch schon ein klarer Kontrast zu dem Plan, den Katrina von ihrem Leben hatte/hat.

Deshalb fand ich es auch nicht unerwartet, wie Josephine darauf reagiert hat, dass Louisa Will doch bei dignitas begleiten wollte. Sie steht für Tradition und das alte Rollenbild. Da passt ein frei gewählter Tod bzw. Sterbehilfe/Selbstmord nicht ins Bild. Sie hätte gar nicht anders reagieren dürfen. Das hätte nicht gepasst. Auch wenn ihre Beziehung zu Louisa gut ist.

Was mich an Josephine gestört hat bzw. stört, ist diese uneingeschränkte Liebe zu Katrina, die sie für Louisa nicht immer aufbringt. Sie hebt Katrina und Tom die ganze Zeit hervor und findet alles so toll, was sie macht. Katrina ist ihr Lieblingskind. Das finde ich Louisa gegenüber nicht gerecht.

Zu Patrick:

Patrick ist furchtbar. Sehr egoistisch und nur darauf bedacht, seine Ziele zu erreichen. Er hat gar keine Empathie und beachtet gar nicht, was Louisa Spaß macht… Aber wäre er schon der perfekte Mann für Louisa gewesen, hätte der Roman Will nicht gebraucht. Also hatte er wohl auch seine Berechtigung. J

Alles in allem ein wirklich mitreißender sowohl herzerwärmender als auch herzzerreißender Roman, den ich uneingeschränkt und immer wieder weiterempfehlen kann.














Auris - Vincent Kliesch und Sebastian Fitzek


Auris – von Vincent Kliesch



Der Roman ist super. Ich empfehle Ihnen, diesen Thriller zu lesen!!!

Ohne hier etwas vorwegzunehmen, kann ich Ihnen schon mitteilen, dass die beiden Hauptpersonen (Professor Hegel und Jula) gut dargestellt sind und man den Gedankengängen der Charaktere überwiegend gut folgen kann. Ich hatte jedoch insbesondere einmal das Gefühl, dass ich Julas Entscheidungen nicht logisch bzw. nicht nachvollziehbar fand (dazu später mehr).

Etwas anstrengend (da ungewohnt) fand ich es, den Namen „Jula“ zu lesen, weil mein Gehirn da immer noch ein „i“ reinzaubern wollte, aber das ist nicht weiter beachtlich.

Wenn Sie den Roman lesen, können Sie sich auf viel Spannung, Nervenkitzel, tolle Hauptfiguren und einen angenehm leichten Sprachstil freuen. Der Roman macht zudem sicher Lust auf einen zweiten Teil. (Der nächste Teil der Reihe erscheint wohl 2020 unter dem Titel "Aurelia".)

Ich bin der Ansicht, dass man hier und da so ein bisschen Fitzek im Ohr hat. Die Sprache und auch der Aufbau des Thrillers, sind schon sehr im Fitzek-Stil, meine ich. Ich bin gespannt, was Sie dazu sagen…

Ein bisschen schade finde ich, dass die Idee, die Hauptfigur einen forensischen Phonetiker sein zu lassen, gar nicht so sehr im Mittelpunkt steht. Ich hatte mich da ehrlich gesagt auf viele neue Erkenntnisse zur forensischen Phonetik gefreut. Wenn Sie das auch erwarten, dann wird diese Erwartung leider nicht erfüllt. Die forensische Phonetik spielt selbstverständlich eine wichtige Rolle im Roman, aber Erkenntnisse konnte ich für mich keine gewinnen.

Insgesamt kein sprachliches Hochreck und inhaltlich an einigen Stellen holperig. Kann man darüber hinwegsehen, ist das Buch spannend und rasant.

  
Einiges mehr zum Inhalt folgt jetzt, aber
ACHUNG!!!: Spoiler-Warnung!!!
(also den nachfolgenden Text erst lesen, wenn Sie den Roman selbst gelesen haben).





Zum Anfang:

Der Roman beginnt rasant mit einem Fall und einem Einsatz von Prof. Hegel. So ist es direkt spannend und man lernt die Figur Hegel und seine Arbeitsweise unmittelbar kennen, ohne dass es sich dabei um langatmige Beschreibungen handelt. Gefällt mir sehr gut.

Ein bisschen merkwürdig fand ich, dass Hegel an der Sprache erkannt hat, dass es sich um eine rechtsseitige Lähmung bei dem Täter handelte. Wie konnte er das denn hören? Hätte es nicht auch eine linksseitige Lähmung sein können?

Ein bisschen schade finde ich einfach – wie anfangs erwähnt – dass über die forensische Phonetik an sich nicht viel geschrieben wird. Ich hätte spannend verpackte Hintergrundinformationen dazu total interessant gefunden und so hätten Hegels Ermittlungsergebnisse für den Leser einen bedeutsamen Mehrwert gehabt. Der Leser hätte so auch selber nachvollziehen können, wie Hegel darauf schließen konnte, dass es sich um eine durch einen Schlaganfall bedingte rechtsseitige Lähmung handelte.

Dennoch ein gelungener Auftakt, finde ich.



Zu Jula und ihrer Vorgeschichte:

Die Idee, dass Jula als Journalistin eine junge Podcasterin ist, die zudem bei einem Radiosender arbeitet, finde ich gut. Habe ich so noch nirgendwo gelesen. Dieses Berufsbild dürfte wohl ziemlich aktuell/modern sein. Kann sie davon am Ende leben?

Ihre Beziehung zu Moritz und ihre weitere Familienkonstellation werden detailliert und nachvollziehbar geschildert. Ich konnte gut verstehen, dass sie von dem Familienstress eine Auszeit brauchte und die Gelegenheit nutzen wollte, mit Moritz zu verreisen, der zu einer Geschäftsreise aufbrechen wollte.

Bis zum Schluss ist das Mysterium nicht gelüftet worden, warum Moritz zu der Falschaussage gedrängt wurde und wer der tatsächliche Vergewaltiger war. Ich hoffe dabei handelt es sich um einen Cliffhanger, der in einem Folgeroman aufgegriffen und -gelöst wird.

Ihre eigene Vorgeschichte ist wohl ihre Motivation dafür True-Crime-Podcasts aufzunehmen. Sie will als Journalistin Verbrechen aufklären und insbesondere Fehlurteile aufdecken – wie in ihrem eigenen Fall mit Moritz.

Jula wirkt sympathisch, ehrgeizig und mutig. Eine gelungene Protagonistin.

Ist es denn wirklich so lebensnah, dass Jula in der Entführungssituation Sprachnotizen für ihren Podcast aufnimmt? Sie weiß nicht sicher wo sie ist, wer sie entführt hat und ob noch jemand im Haus ist. Verhält man sich da nicht ruhig und ängstlich? Diese Szene fand ich nicht realistisch.


Zu Patrick:

Die Trennung von Patrick fand ich nicht nachvollziehbar. Wer trennt sich denn von seinem Partner, nur weil dieser heimlich Nachrichten im Handy liest? Klar, es kann ein Streitpunkt sein, aber ein Trennungsgrund? Das fand ich etwas merkwürdig. Und auch, dass sie das geplant hat und ihm dann einen Brief geschrieben hat, den sie unter der Fußmatte versteckt hatte. Fand ich völlig lebensfremd. Ich kenne niemanden, der so handeln würde. Aber hat der Geschichte jetzt auch keinen Abbruch getan, fand ich.

Bis zum Schluss hat mir mein Bauchgefühl gesagt, dass Patrick etwas mit alldem zu tun hatte. Er war bei Jula als sie den Rucksack vor ihrer Tür fand und er hat sie im Ferienhaus befreit. Er hatte aufgrund der Trennung sogar ein Motiv (Rache). So ein Zufall, dachte ich. Aber das sollte wohl die Leser in die Irre führen, denke ich. Er war es ja nicht…



Zu Hadrian:

Bei Hadrian habe ich den Eindruck, dass er als eine Art „Joker“ logische Lücken schließen musste. Er hatte doch eigentlich nur die Funktion, dass Jula an Informationen kommt, an die sie ansonsten wohl nicht so ohne Weiteres gekommen wäre. Und er ist nur ein Fan? Der alles aus reiner Nächstenliebe tut? War jetzt auch nicht so von Bedeutung, deshalb auch ok. Aber am Ende habe ich doch schon erwartet, dass sich die Randgeschichte um Hadrian auflöst… Sie nicht?

Etwas abwegig fand ich auch, dass Hadrian seinen Zugang zum Radiosender wirklich nur als Scherz missbraucht hat, um Julas Podacastserien zu senden. Wer macht denn so etwas? Die Story um Hadrian fand ich deshalb zusammenfassend wenig gehaltvoll.



Zu Elyas:

Elyas ist ein (klein)krimineller Teenager, der sich von seinen nun getrennten Eltern nicht gewollt und geliebt fühlt. Julas Fürsorge um ihn begründet er für sich damit, dass sie ihren „echten“ Bruder Moritz verloren hat und er für sie nur ein Ersatz darstellt. Auch von seinem Freund Friedrich fühlt er sich als Mittel zum Zweck ausgenutzt, damit dieser mit einem „coolen Kid“ abhängen kann. Er hat den Eindruck, dass es da nicht um ihn als Person geht.

Dieses Beziehungsgeflecht um Elyas ist vielschichtig und gefühlsecht. Ein Teenager in einer Findungsphase, der noch auslotet wer er ist und mit wem er sich warum umgibt. Sehr gut! Die Person ist meines Erachtens am detailliertesten und echtesten dargestellt.

Dass er rechtliche Grenzen überschreitet hatte wohl einfach den Zweck, dass Jula aufgrund seiner Vorstrafen zu der Überzeugung gelangt, dass die Polizei ihr bei der Suche ihres kriminellen Bruders nicht helfen wird.

Bis zum Schluss bleibt Elyas auch in der Situation in Gefangenschaft tapfer, versucht logisch zu denken und behält seinen Überlebenswillen.

Gut, dass er überlebt und der Roman diesbezüglich ein happy end hat. Alles andere wäre für den Leser sehr enttäuschend gewesen, meine ich, da die Suche doch eine der beiden Haupthandlungen war.



Zu Margrit:

Sie hat Jula mit dem ersten und ihrem einzigen Anruf gedroht. Von Anfang an war ich mir sicher, dass der erste Anrufer und die weiteren nicht identisch waren. Da auch Hegel bei dem ersten Anrufer feststellte, dass dieser emotional betroffen ist und sehr schnell atmet.

Ab dem zweiten Anruf war dann alles anders. Der Anrufer benutze keinen Stimmenverzerrer mehr und atmete ruhig und gelassen.

Aber warum hat Margrit nur einmal angerufen? Und woher wusste sie, dass Jula in Hegels Fall ermittelt?

Dennoch hat mir gefallen, dass es sich dann auch wirklich um zwei verschiedene Personen handelte. Ansonsten wäre die Beschreibung des ersten Anrufs (emotional und mit Stimmverzerrer) völlig sinnlos gewesen.

Margrit scheint nur eine Nebenrolle zu spielen und ist dann am Ende für die Auflösung von essentieller Bedeutung. Sie glaubt und traut Hegel nicht und ist sich sicher, dass er ihre Tochter getötet hat.

Margrit weiß von ihrer Tochter, dass Hegel illegale Geschäfte gemacht hat. Sie wirft ihm vor, dass er Informationen über Zeugen aus Schutzprogrammen an eine Organisation verkauft hat, die ihre Tochter als verdeckte Ermittlerin hochnehmen sollte. Hegel habe ihrer Tochter gedroht. Sie habe Angst vor ihm gehabt.

Hier bedauere ich sehr, dass man über Mathildas Mutter nur so wenig erfährt. Wer war sie? Wie lange waren sie und Hegel ein Paar? Haben sie sich getrennt? Warum genau hatte sie Angst vor Hegel? Warum hat sie das ihrem Vorgesetzten nicht gemeldet?

Hier entstehen so viele Fragen. Hoffentlich werden diese Fragen in einem Folgeroman ebenfalls noch thematisiert.



Zu Kalinsky und dem Ende:

Also die Geschichte um Kalinsky fand ich total gut. Er ist das Werkzeug, das hinter allem steckt und gar nicht merkt, dass er zum Werkzeug gemacht worden ist?

Das doppelte Ende kam für mich völlig unvorhersehbar und war deshalb umso brillanter. Hegel konnte nicht einfach einem rachsüchtigen Ehmann zum Opfer gefallen sein! Dafür ist Hegel doch viel zu raffiniert.

Dass Hegel dann Kalinsky zum Werkzeug gemacht hat, passte dann aber wieder.

Kalinsky war Hegels bester Freund und Ehemann einer von Hegels Patientinnen.

Die Patientin – Jessica Schrödinger – hielt Hegel aufgrund einer Fehldiagnose für nicht suizidgefährdet und verschrieb ihr Antidepressiva, die ihr so viel Antrieb gaben, dass sie letztendlich ihre Suizidabsichten in die Tat umsetzen konnte.

Mir gefällt, dass bis zum Ende nicht vollständig aufgelöst wird, wie Hegel alles aus dem Gefängnis heraus geplant hat.

Herr Dr. Varbelow wirkt wie ein sehr gesetzestreuer, wohlbesonnener Rechtsanwalt, der wohl nicht seine Finger mit im Spiel hatte.

Aber was ist mit dem depressiven Vollzugsbediensteten? Hat er Hegel wohl auch einige illegale Annehmlichkeiten verschaffen können, z.B. ein Handy übergeben oder ihn telefonieren lassen. Völlig unpassend finde ich hier die Formulierung „Wärter“, die gar nicht mehr zeitgemäß und korrekt ist. Da hätte sich der Autor besser informieren müssen!

Kalinsky war wohl kaum schlau genug, die Drohanrufe zu tätigen. Hat Hegel Jula angerufen und ihr selbst gedroht? Konnte er so gut vorhersehen, wie sie sich verhalten wird, obwohl ihm Jula fremd war?

Hegel war die ganze Zeit über auf dem Laufenden, was Julas „Ermittlungsergebnisse“ betraf und er konnte lenkend einschreiten (Denon-Box in Kalinskys Badezimmer zur Vorbereitung Julas Entführung etc.).

Er hat die Anrufe absichtlich fehlgedeutet und Jula falsche Informationen (Oberhavel, gebildet etc.) gegeben.

Kalinsky hat für Hegel Elyas entführt und Jula in das Ferienhaus verschleppt.

Die vorgetäuschte versuchte Entführung Mathildas war eine Falle für Kalinsky, damit Heiko, der Bodyguard für Mathilda, den Hegel engagiert hatte, eine Rechtfertigung dafür hatte, Kalinsky zu ermorden.

Kalinsky hat Hegel wohl gar nicht gehasst für die Fehldiagnose. Das war Teil Hegels Plans, das so darzustellen, dass er den Hass seines Freundes nicht bemerkt hat, der sich an ihm rächen wollte.

Da hätte ich mir auch einige klarstellende Worte gewünscht. Wie war Kalinskys Verhältnis zu Hegel? Hat er ihm die Fehldiagnose verziehen? War er aufgrund des Todes seiner Frau am Ende und zu allem bereit? Warum sollte er Hegel helfen, der doch den Tod seiner Frau verschuldet hatte?



Sonstiges:

Ich weiß nicht, wie Besuche in der JVA Moabit geregelt sind, aber mir kommt schon etwas unrealistisch vor, dass der Anwalt ständig – nach nur einem Anruf – mit Hegel Besuchstermine vereinbaren kann.

Völlig unrealistisch kommt mir Julas Besuch Hegels auf der Krankenabteilung vor. Da wäre wohl ein Telefonat wahrscheinlicher gewesen als dass eine Externe einen Gefangenen im Krankenrevier besucht.



Hegels Geschenk an Jula, die Telefonnummer ihres Bruders, passt wiederum nicht ins Bild. Warum macht er so etwas Unüberlegtes? Sein Blut und seine Fingerabdrücke sind auf dem Papier und so lässt sich nachvollziehen, dass er geschützte Informationen weitergegeben hat. Ein schöner Cliffhanger (was ist mit Moritz passiert, wo ist er etc.?) aber wirklich ein so perfektes Ende? Klar, so kann Hegel doch noch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Aber für den Mord an Mathildas Mama kann er nicht mehr verurteilt werden (Beweislage).



Vielschichtige Romane bzw. Thriller birgen wohl die Gefahr, dass am Ende Fragen ungeklärt bleiben und nicht alles zu 100% stimmig ist.



Das doppelte Ende gefällt mir. Jedoch ist mir bis zum Schluss insbesondere Kalinskys Handlungsmotivation nicht klar. Ihnen? Warum hat Kalinsky Hegel bei alldem geholfen?



Wenn Sie den Roman gelesen haben, bin ich gespannt auf Ihre Eindrücke.