Eines meiner Lieblingsbücher und deshalb hier ein Post dazu, obwohl es schon eine Weile her ist, dass das Buch veröffentlicht worden ist.
Ich
finde, dass es über einen üblichen Liebesroman hinausgeht und viele
Probleme realistisch aufzeigt, die man durchaus nachvollziehen kann. Dadurch,
dass die Autorin die Gedanken der Handelnden so kleinschrittig beschreibt, hat
man – finde ich – das Gefühl, direkt am Entscheidungs- und Findungsprozess
teilzunehmen. Ich glaube das macht diese Sogwirkung des Buches aus und führt
dazu, dass man es einfach nicht weglegen kann.
Zu
Will:
Dass
ein Unfall das Leben und vor allem den Lebensstil von heute auf morgen
verändern kann, bringt dieses Buch sehr drastisch auf den Punkt. Natürlich
führt kaum jemand so ein aufregendes, perfektes und abenteuerreiches Leben, wie
Will es vorher geführt zu haben scheint. Aber das soll wohl im Buch den
Unterschied zu früher und heute noch mehr hervorheben.
Ich
finde es total nachvollziehbar, dass Will so launisch ist. Er war vorher
erfolgreich und völlig unabhängig. Nach dem Unfall, den er noch nicht einmal zu
verschulden hatte (das ist wohl auch noch mal ganz erheblich), ist er plötzlich
wieder abhängig und dann auch noch von seiner Mutter, die eine ganz andere
Vorstellung von einer guten Lebensführung hat. Dazu kommen auch noch die
täglichen Schmerzen die er hat, obwohl er seinen Körper ansonsten gar nicht mehr
nutzen kann. Das ist wohl ziemlich unerträglich.
So
nachvollziehbar ich das in dem Buch wirklich alles fand (die Launen, seinen
Wunsch, so ein Leben nicht führen zu wollen…) desto drastischer fand ich auch
die Formulierung, dass ihm Louisa nicht ausreicht. Aber betrachtet man diese
Aussage in dem Kontext, dass er auch sagt, dass sein Leben nie wieder so gut
sein wird, wie jetzt gerade zu diesem Zeitpunkt, finde ich, dass er sehr
rational handelt. Er hatte erst gerade wieder eine schwere Lungenentzündung. Er
sieht, wie seine Angehörigen jedes Mal, wenn er ins Krankenhaus muss, wieder
leiden und sich um ihn sorgen. Er weiß, dass er körperlich immer mehr abbauen
wird und dass noch weitere, schlimmere Krankheiten mit seinem Zustand
einhergehen. So banal das auch auf den ersten Blick klingen mag, denkt er sich
wohl, dass er „aussteigen“ muss, als es am schönsten ist. Obwohl ich der
sicheren Ansicht bin, dass er und Louisa ein schönes Leben zusammen gehabt
hätten. Bestimmt mit vielen Sorgen und für ihn auch Schmerzen, aber dennoch
lebenswert. Aber das ist meine Ansicht. Das ist aus Wills Sicht vielleicht
etwas anders, wenn man eben betrachtet, in welch anderem Extrem er zuvor gelebt
hat.
Ich
finde nicht, dass Will sich so richtig auf Lou eingelassen hat. Er war doch
tatsächlich immer sehr distanziert. Zum Schluss hat er sie, glaube ich, dann
aber doch wirklich gebraucht, weil es sicherlich, auch wenn er es für sich klar
entschieden hat, kein einfacher Schritt ist, sein Leben zu beenden. Da hat er
wahrscheinlich jemanden gebraucht, der ihn versteht. Seine Eltern und seine
Schwester haben da ja definitiv immer nicht so richtig verstanden, wie er sich
verhält. Louisa wollte es zwar auch nicht, konnte sich aber besser in ihn
hineinversetzen. Auf den ersten Blick fand ich es egoistisch, dass er sie
da so einbezieht, aber anders hätte ihm vielleicht die nötige Kraft gefehlt.
Zu
Katrina:
Auch
an Katrina wird so deutlich – wie bei Will und seinem Unfall – wie bestimmte
Ereignisse, das Leben lenken. Ich hatte den Eindruck, dass Katrina das auch
noch einmal zum Ausdruck bringen sollte. Hätte sie Tom nicht bekommen, hätte
sie ein ganz anderes Leben geführt. Sie hätte ihr Studium beendet und wäre
eventuell (viel früher) beruflich sehr erfolgreich geworden. Vielleicht soll
das noch einmal unterstreichen, dass man sein Leben planen und strukturieren
kann, es dann aber manchmal doch ganz anders kommen kann (nicht zwingend, aber
es ist wohl immer möglich).
Wenn
man sich vor Augen führt, was das Buch einem „sagen“ will, dann ist es wohl
ganz eindeutig, dass man sein Leben jeden Tag – wie es auch gerade ist –
genießen sollte und dankbar sein sollte, dass man es hat. Vielleicht sogar
auch, dass man jeden Tag versuchen sollte, das Beste daraus zu machen… Oder?
Was meinen Sie?
Ich
finde, dass Katrinas Art, sich immer wieder in das Leben von Louisa
einzumischen und sie zu verbessern und zu kritisieren, sehr anstrengend ist.
Das ist einfach keine schöne Eigenschaft, wenn man jemanden kritisiert, um sich
besser zu fühlen. So kommt es mir vor. Katrina ist mit ihrem Leben unzufrieden,
weil sie unter anderen Umständen wohl mehr erreicht hätte und gängelt deshalb
Louisa. Dabei beachtet sie auch gar nicht, dass sie die Dinge, die sie
kritisiert, teilweise genauso macht.
Meines
Erachtens gibt es aber zwei Arten der Kritik: Einmal die Kritik, die dazu da
ist, damit sich jemand anderes schlecht fühlt oder damit sich der andere so
ändert, dass es einem besser in den Kram passt.
Und
dann noch die „gut gemeinte, uneigennützige“ Kritik, die Motivation und Antrieb
für das Gegenüber sein soll, die Komfortzone zu verlassen und etwas
Neues/Anderes zu probieren. Also Veränderungsmotivation für den anderen und
nicht für einen selbst.
Meinen
Sie nicht auch, dass es da diesen Unterschied gibt? Ich glaube Katrinas Kritik ist
dieser Art, dass sie eben selbst unzufrieden ist und so ihren Frust an Louisa
ablädt… Auch, weil Louisa so ungebunden ist und sie theoretisch die
Möglichkeiten hätte, das Leben zu führen, da Katrina ohne Tom hätte führen
können und dennoch nicht macht. Da spielt vielleicht auch Neid eine Rolle.
Katrina ist eventuell neidisch darauf, dass Louisa ungebunden ist und ihr jede
Möglichkeit offensteht.
Ansonsten
finde ich Katrinas Charakter sehr gut. Sie ist zielstrebig, erfolgreich (soweit
das mit Tom geht) und fleißig.
Alles
andere ist wohl von Jojo Moyes einfach sehr realistisch dargestellt: Sie ist
übermüdet, weil sie eine junge, alleinerziehende Mutter mit einem kleinen Kind
ist, die noch bei den Eltern in einem Zimmer wohnt… Wie soll sie da anders
sein?
Ich
finde Katrina überhaupt nicht undurchsichtig. Sie ist – meines Erachtens –
geprägt von Unzufriedenheit und Überforderung…
Zu
Louisa:
Louisa
Clark ist wohl eine Figur, die sehr wenig rational abwägt, sondern eher nach
Gefühl handelt.
Ich
habe – bevor ich „Ein ganzes halbes Jahr“ gelesen habe – das Buch „Das Leben
ist zu kurz für später“ gelesen. Da hat die Autorin so perfekt sinngemäß Folgendes
formuliert, was ich für den Charakter „Louisa“ sehr passend finde:
„Trägt
jemand sein Herz offen vor sich, dann kann es viel leichter von der Sonne
erwärmt werden. Jedoch ist es natürlich so auch viel weniger geschützt vor
starkem Sturm, der aufziehen kann.“
Louisa
ist sehr leicht begeisterungsfähig. Das mag ich sehr. Sie brennt sehr schnell
für die Idee, einen „Abenteuer-Ausflugs-Plan“ für Will zu erstellen, um ihn
umzustimmen. Sie macht alles dafür, dass es gelingt (trägt also ihr Herz
ungeschützt offen vor sich), jedoch ist sie vor der endgültigen Entscheidung
von Will dann überhaupt nicht gewappnet. Und dazu kommt dann auch noch, dass er
seine Entscheidung so drastisch formuliert: „Du reichst mir nicht!“
Daran
musste ich ziemlich oft denken. Das passt doch wirklich, oder? Was meinen Sie?
Trotzdem
bin ich auch nach diesem Ende nicht zu dem Entschluss gekommen, dass Louisas
Einstellung zum Leben falsch ist. Ganz im Gegenteil: Dann sollen doch Stürme
kommen… dafür wird das Herz ja auch von der Sonne gewärmt…
Besonders
gut finde ich es auch, dass Louisa so besonders ist. Sie zieht sich
außergewöhnlich an und unabhängig vom materiellen Wert haben bestimmte Dinge
für sie einen ideellen Wert (Hummel-Strumpfhose). Das macht sie, glaube ich, so
besonders sympathisch.
Zu
Nathan:
Nathan
finde ich im ersten Teil tatsächlich gar nicht so wichtig. Er ist wohl nur die
medizinische Fachkompetenz. Ohne ihn wäre wohl die Pflege für Will
unrealistisch erschienen. Und klar: Auch Stütze für Louisa, vor allem auch,
damit sie ihre Pläne mit Will in die Tat umsetzen kann.
Und
natürlich hat er auch die Funktion zu unterstreichen, dass Louisa nicht immer
vernünftig handelt (zum Beispiel bei der Hochzeit, als sie den Urin-Beutel
nicht einmal entleert und gesäubert hat).
è Nathan
= Vernunft und Fachkompetenz vs. Louisa = Emotion und Lebensfreude
è Eigentlich
die perfekte Kombination für den kranken Will...
Zu
Josephine und Bernard:
Die
beiden verkörpern meines Erachtens das alte Bild der traditionellen
Rollenverteilung. Ich sehe tatsächlich in allen Figuren des Buches ganz klar
eine Funktion, um Louisas Eigenschaften zu verdeutlichen. Die beiden sind ganz
klar dazu da, um zu verdeutlichen wie begrenzt Louisas altes Leben war, bevor
sie Will kennengelernt hat. Ein kleiner Ort, in dem sie lebt. Ihre Mama, die
nur dazu da ist, für die Kinder zu sorgen, den kranken Opa zu pflegen und für
ihren arbeitenden Mann da zu sein. Auch schon ein klarer Kontrast zu dem Plan,
den Katrina von ihrem Leben hatte/hat.
Deshalb
fand ich es auch nicht unerwartet, wie Josephine darauf reagiert hat, dass
Louisa Will doch bei dignitas begleiten wollte. Sie steht für Tradition und das
alte Rollenbild. Da passt ein frei gewählter Tod bzw. Sterbehilfe/Selbstmord
nicht ins Bild. Sie hätte gar nicht anders reagieren dürfen. Das hätte nicht
gepasst. Auch wenn ihre Beziehung zu Louisa gut ist.
Was
mich an Josephine gestört hat bzw. stört, ist diese uneingeschränkte Liebe zu
Katrina, die sie für Louisa nicht immer aufbringt. Sie hebt Katrina und Tom die
ganze Zeit hervor und findet alles so toll, was sie macht. Katrina ist ihr
Lieblingskind. Das finde ich Louisa gegenüber nicht gerecht.
Zu
Patrick:
Patrick
ist furchtbar. Sehr egoistisch und nur darauf bedacht, seine Ziele zu
erreichen. Er hat gar keine Empathie und beachtet gar nicht, was Louisa Spaß
macht… Aber wäre er schon der perfekte Mann für Louisa gewesen, hätte der Roman
Will nicht gebraucht. Also hatte er wohl auch seine Berechtigung. J
Alles in allem ein wirklich mitreißender sowohl herzerwärmender als auch herzzerreißender Roman, den ich uneingeschränkt und immer wieder weiterempfehlen kann.
Alles in allem ein wirklich mitreißender sowohl herzerwärmender als auch herzzerreißender Roman, den ich uneingeschränkt und immer wieder weiterempfehlen kann.